Wessen Energiewende? Eine feministische Analyse von Energiegemeinschaften auf dem Weg zur Energiedemokratie
Energiegemeinschaften gewinnen an Bedeutung, sowohl auf europäischer als auch auf österreichischer Ebene. Sie sollen den Energiemarkt demokratisieren, indem sie von großen Konzernen weg und hin zu einer dezentralen und demokratischen Energieversorgung führen. Unsere Mitarbeiterin Paula Friederichsen untersuchte in ihrer Masterarbeit, ob diese neuen Gemeinschaften ihr Versprechen einhalten.
30. Jänner 2024, Paula Friederichsen
Internationale Studien zeigen, dass die Demokratisierung des Energiemarktes durch Energiegemeinschaften mehr Annahme als bewiesene Folge ist. Energiegemeinschaften führen also nicht automatisch zu Energiedemokratie. Stattdessen müssen bewusst konkrete Schritte unternommen werden, um diesem Potential gerecht zu werden. Feminismus dient hierbei als Brille, um soziale Ungerechtigkeiten und Machtverhältnisse zu erkennen.
Energiedemokratie - aber wie?
Energiedemokratie strebt einen umfassenden Wandel an. Das bedeutet:
- ein vollständiger Übergang zu erneuerbaren Energien,
- universeller Energiezugang,
- Gemeinschaftseigentum und -kontrolle,
- lokale demokratische Entscheidungsfindung und
- aktive Gewährleistung einer breiten Beteiligung.
Beteiligung ist das Fundament von Energiedemokratie und hier liegt die Krux: In der Theorie sind Energiegemeinschaften offen für alle, jede und jeder kann beitreten. Doch Umfrageergebnisse aus meiner Masterarbeit zeigen: jüngere Menschen, Stadtbewohner*innen und Frauen sind stark unterrepräsentiert. Von den 25 untersuchten österreichischen Energiegemeinschaften liegt die am stärksten repräsentierte Altersgruppe zwischen 40 und 49 Jahren, nur zwei sind in Wien angesiedelt. Nur eine von fünf Gründer*innen ist weiblich. Mit der Zeit verändert sich die Zusammensetzung der Gemeinschaft und der Frauenanteil erhöht sich auf knapp 44% mit Stand Jänner 2023.
Warum ist das so? Und warum ist das ein Problem?
In der Gründungsphase von Energiegemeinschaften übernimmt der „Kümmerer“ eine entscheidende Funktion. Diese Position wird meist von Männern besetzt und erfordert vielfältige Fähigkeiten in Technik, Energiewirtschaft, Recht, Sozialem und Organisation. Obwohl diese Rolle für den Erfolg von Energiegemeinschaften unverzichtbar ist, stellt sich die Frage: Warum ist das so? Und warum ist das ein Problem?
Das Phänomen des „Kümmerers“ lässt sich auf strukturellen Sexismus zurückführen, der Männer für die Besetzung dieser Rolle begünstigt. Sei es der Gender Pay Gap, der Gender Care Gap oder die Unterrepräsentation von Frauen* in MINT-Bereichen: Nicht individuelle Vorlieben, sondern struktureller Sexismus erschweren es Frauen*, sich in Energiegemeinschaften zu engagieren. Sexistisches Verhalten – oft von Männern – tut sein Übriges. Doch wie ein Gebäude, das von einem oder wenigen Pfeilern getragen wird, ist eine Organisation, die sich auf einen oder wenige Menschen stützt, langfristig nicht stabil. Die fehlende Diversität führt dazu, dass lediglich die Vorstellungen der homogenen Mitglieder Einfluss auf die Gestaltung der Energiegemeinschaften haben, während viele Stimmen überhört werden. Energiegemeinschaften bleiben somit unattraktiv für viele unterrepräsentierte Gruppen und der Kreislauf von geringer Diversität, die zu noch geringerer Diversität führt, wiederholt sich.
Diese Kritik ist jedoch auch ein Plädoyer für mehr Diversität und das aktive Bestreben nach Partizipation von allen. Außerdem ergeben sich daraus Hinweise auf „Befähiger“ für Beteiligung:
- Interne Hierarchien sollten diskutiert, nicht ignoriert werden.
- Eine vielfältige Entscheidungsstruktur fördert eine inklusive Energiegemeinschaft, in der unterschiedliche Meinungen berücksichtigt werden.
- Aktive Partizipation erfordert Wissensaustausch und die Förderung von spezifischem Know-how.
- Verbesserte Gesetzgebung mit weniger Bürokratie kann die Teilnahme von Frauen* an Energiegemeinschaften erleichtern.
Struktureller Sexismus
... bedeutet, dass unsere Gesellschaft so organisiert ist, dass Frauen, nicht-binäre, Inter- und Trans-Personen z. B. durch Gesetze oder kulturelle Wertvorstellungen schlechter gestellt sind.
Das Spiel mit den großen Energiekonzernen
Das demokratische Potenzial von Energiegemeinschaften hängt nicht nur von ihrer Größe und Vielfalt ab, sondern auch von ihrer Teilnahme am Energiemarkt. Neben bürokratischen Hürden, hohem zeitlichen Aufwand und zu geringen finanziellen Ressourcen behindern etablierte Energiekonzerne ihre Teilhabe.
Die Logik ist einfach: Je mehr Menschen Energie über Energiegemeinschaften beziehen, desto weniger Kund*innen – und somit Marktmacht – haben eingesessene Energiekonzerne. Aus einem Interview ging hervor, dass Energiekonzerne z. B. Flächen für geplante Solaranlagen blockieren und somit die Netzkapazitäten besetzen. Gemeinden können diese Flächen nicht mehr für gemeinwohlorientierte Solarenergieproduktion umwidmen. So sichern sich Energiekonzerne zukünftige Gewinne und stehen der Partizipation von Energiegemeinschaften im Weg.
Um sich effektiv als sichtbare Alternative zu etablieren, bleibt es also für Energiegemeinschaften weiterhin wichtig, alteingesessene Energieunternehmen und deren Praktiken zu kritisieren. Im Vergleich zu Haushalten, die sich als Energiegemeinschaften organisieren, können regionale Kooperationen größeren Einfluss und Macht aufbauen. Dies kann eine Machtumverteilung im Energiesektor hin zu Gemeinden und Bürger*innen bewirken.
Wie weiter? Transformation!
Es gibt viele komplexe Hürden, die Energiegemeinschaften im Weg stehen, ihr Potenzial für Energiedemokratie zu realisieren. Was also tun? Welche Maßnahmen brauchen wir? Die US-amerikanische Philosophin und Feministin Nancy Fraser liefert dafür das passende Konzept, indem sie zwischen Transformation und Affirmation unterscheidet. Affirmative Maßnahmen bessern Ungleichheiten oberflächlich aus, wohingegen transformative Maßnahmen auf die Strukturen abzielen, die Ungleichheiten bewirken. Als Beispiel: Einer der Gründe für fehlende Diversität in Energiegemeinschaften ist die Unterrepräsentanz von Frauen* im MINT-Bereich. Ein transformativer Ansatz ist der Fokus auf Information und Bildung, der „energy literacy“ unter Frauen steigert. Als Beispiel für eine affirmative Maßnahme steht der Energiebonus, der lediglich oberflächlich Ungleichheiten mildert, jedoch nicht deren Ursachen wie Profitinteressen berührt.
(Noch) kein Abwarten und Tee trinken
Energiegemeinschaften werden nicht automatisch vielfältiger und etablierte Energieunternehmen werden nicht freiwillig ihre Macht abgeben. Dies muss durch transformative Maßnahmen erkämpft werden, die die Beteiligung einer breiten Bevölkerung ermöglichen und die bestehenden Machtverhältnisse im Energiemarkt angehen. Die gute Nachricht: Nicht nur politische Entscheidungsträger*innen, sondern auch Energiegemeinschaften selbst können dazu einen wichtigen Beitrag leisten.
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